Wortwerkstätten Michael Guttenbrunners

Nun legt der oberösterreichische Autor Richard Wall einen schmalen Band über Michael Guttenbrunners Wohn- und Arbeitszusammenhänge in der Pramergasse im 9. Wiener Gemeindebezirk und im Haus Vogelweid in Saas Fee vor. Vorangestellt sind aus unterschiedlichen Anlässen entstandene kleine Aufsätze Walls über Guttenbrunner, die von der freundschaftlichen Verbindung zeugen und auch von Walls respektvoller Haltung dem älteren Kollegen gegenüber. In den Texten ist auch einiges über die Gegenstände und Arrangements zu erfahren, die in der Fotostrecke des Mittelteils zu sehen sind. Der Titel "Wortwerkstätten" entspricht dabei Guttenbrunners biografischer Herkunft aus bäuerlich-proletarischem Milieu, seiner Verbindung mit manueller, praktischer Tätigkeit, die er immer wieder ausübte – als Holzfäller, Bauarbeiter oder Gärtner. Diese Arbeit mit konkreten Dingen und Stoffen, so könnte man interpretieren, prägte auch die Ökonomie vieler seiner Texte, in denen man oft Hammer und Meissel zu hören vermeint. Und sie prägt auch das Ambiente seiner Wohn- und Arbeitsräume, die zwar deutliche Spuren im Lauf der Jahre "natürlich" entstehender Sedimentierung tragen, aber auch den bewussten Willen zum sinnfälligen Arrangement zeigen.

Die Dinge – und da macht Guttenbrunner keinen kategorialen Unterschied zwischen Büchern, Bildern, Arbeitsgeräten, Ziegeln, Skulpturen oder Steinen, dokumentieren lebensgeschichtliche Beziehungen, Prägungen und auch Denkbewegungen. Sie sind eine Materialiensammlung für sein Denken und Schreiben, sie sind Gegenstand und Produkt seiner Erinnerungsarbeit und sie sind Gedenkdienst für Opfer, verlorene Freunde, abgelebte Lebensphasen. Es ist diese Mischung, die die Fotos einfangen; sie berührt und regt dazu an, in Guttenbrunners allesamt schmale Bände wieder hineinzublättern. Zumindest eine kleine Portion Guttenbrunner sollte in keinem Lese-Haushalt fehlen – das bekräftigen gewissermaßen einige Texte aus dem Nachlass, die am Ende des Bandes abgedruckt sind. Bis zuletzt hat Guttenbrunner seine selbstbewusste, durchaus auch herrische Geste bewahrt, die dank der Authentizität seiner Person nie ins Hohle oder Propagandistische kippte, hinter jeder Zeile steht die ganze Person und sie steht ein für das Gesagte oder Dekretierte. "Gutachten" übertitelt er einen kurzen Text über die Auseinandersetzung, ob Tierschützer den Begriff KZ verwenden dürfen, mit dem finalen Urteil: "Die Seelen, der im KZ ermordeten Juden, müssen vor dem Jammerbild einer gefolterten Kuh nicht geschützt werden: es beleidigt sie nicht. Sie sind beleidigt durch den Lauf der Welt, und durch das Schmatzen und Schlürfen vor allem derjenigen Literaten, die das KZ geschäftlich ausschlachten. Das ist der Streitpunkt." (S. 139)

Guttenbrunners Stimme des rücksichtslosen Widerspruchs und auch polternden Einspruchs gegen die Verwerfungen wie Ungeheuerlichkeiten des Zeitgeists und der Politik war immer authentisch, unbeugsam und unbestechlich – was Irrtümer nicht ausschließt. Wo mediale Inszenierung von Debatten – sofern sie überhaupt noch ernsthaft abgeführt werden – im Vordergrund steht, ist eine solche Haltung kaum mehr gefragt. Guttenbrunner wurde nicht nur zu Lebzeiten "die literarische Zeitgenossenschaft" zunehmend verweigert (S. 27), es ist zu befürchten, dass das Fehlen seiner Stimme nur ein sehr schmaler Kreis als Lücke empfindet. Auch deshalb sind Publikationen wie die vorliegende, die auf eine sehr berührende Art Guttenbrunner ins Gedächtnis rückt, zu begrüßen.

Evelyne Polt-Heinzl, Online, Literaturhaus Wien

 

Richard Wall: Streumond und Nebelfeuer, Gedichte,

 

Löcker, Wien 2019, 152 Seiten, Euro 19,80

 

 

 

Mit  STREUMOND UND NEBELFEUER  betritt ein bedeutender

 

Lyriker, Prosaist und Bildender Künstler Österreichs, nämlich

 

Richard Wall erneut die kleine, aber feine Bühne der Poesie

 

und liefert auch gleich das Umschlagbild des schön gestalteten

 

Gedichtbandes mit.

 

Seine Ars poetica hat sich in jahrzehntelanger Arbeit im Grenzbereich

 

zwischen Bild und Sprache an einem geistesgegenwärtigen Spiegel

 

geschliffen, der, gleichzeitig Rück- und Vorderseite, sozusagen den

 

Sprachraum extrem krümmend eine Einstein-Rosen-Brücke zwischen

 

Hier und Dort, zwischen äußerster Nähe und innerster Ferne erzeugt, Erinnerungen ausleuchtend und gleichzeitig Zukunft antönend, und

 

dies im Bewusstsein, dass diese Zeitenfolge nur ein vorläufiges

 

Konstrukt ist.

 

Die große Spannweite Wall’scher Geistesflüge, das breite Spektrum,

 

worin sich Wahrnehmung, Erinnerung und Reflexion zu Versen

 

vereinbaren und einander die Feder reichen, auch nur in Umrissen

 

deutlich werden zu lassen erscheint dem Rezensenten in diesem be-

 

grenzten Rahmen als ein Unterfangen, das selbst einem glücklichen, j a

 

übermütigen Sisyphos wohl dunkle Wolken auf die Stirn zauberte.

 

Da erscheinen beispielsweise im Zyklus UNI-PER-VERS-UM präzise

 

Befunde der  (Un)Weltlagen z.B. im Gedicht ZUR LAGE (p73)

 

Welt/Eine Spule, aus der sich jede und jeder/Seine irren//irrenden Fäden spinnt./...

 

und erhält im Gedicht RÄTSEL (p92) aus dem Zyklus WIRBELBLICKE

 

der Widerstand gegen eine augenscheinlich ökologisch und in ihrer

 

Humanität missglückende Welt in Form auch des poetischen Wortes seine gültige Punze: … Erfolgreich Widerstand/Zu erkennen in/Erleuchteten Wänden –//

 

Und den Schatten Gaben bringen/Über Gräber hinweg- /Sing wenn du wieder zu dir kommst.//Sing! 

 

Dann wiederum wird das vom Dichter noch Wahrzunehmende, das dem allgemeinen Blick schon unsichtbar geworden ist, im Gedicht BLICKWIRBEL

 

an einigen Beispielen als ein geheimnisvolles Atmen von Leben & Tod vor Augen und Ohren geführt, ein Atmen, das in KLAVIATUR DES LICHTS (p94)

 

aus dem Blickwinkel des Bildenden Künstlers das Verschwinden des Lichts in folgende Synästhesie fasst: …Das Geschaute ihn ihm/Als Dreiklang/verweht.

 

Unmittelbar Erlebtes führt bei Wall zu Gedanken, die ihrerseits wieder

 

in der Reflexion des/der Lesenden zu Erlebnissen werden, ja manchmal

 

auch zu Ersterbnissen, wenn der Poet in hellwacher Achtsamkeit der Natur gegenüber, nun selbst mit ihr ein Wesen, ein Wehen, ihre/seine Vergänglichkeit oder Zerstörung in Gedichten wie DAS ZITTERN DER ÄSTE IN MIR (p55), UFERBEREINIGUNG (p64) oder EPITAPH AUF EINE QUELLE (p65) zur Sprache bringt.

 

 

 

Und so führt Richard Wall unbeirrt sein Logbuch durch all die

 

Wellengänge seiner Tage und Nächte und hinterlässt uns keine Strohfeuer,

 

sondern Leuchttürme, die uns in dieser Zeit der großen Umbrüche

 

helfen, Kurs zu halten. Ahoi!