Unter Orions Lidern, Gedichte

Richard Wall ist ein intensiv Schauender, der seinen Augen nicht traut. Deshalb ist in seinen Gedichten für beides Raum: für Wahrnehmungsskepsis – eine spannungsreiche und fruchtbare Dualität, die in seinem vorliegenden jüngsten Band vielleicht noch deutlicher zum Tragen kommt als in seinen früheren Bänden.

Dieser Lyriker, der zugleich leidenschaftlicher Prosa- und Briefeschreiber, Essayist, Übersetzer, Graphiker und Fotograph ist, freut sich über jeden unerwarteten Fund, den er unmittelbar vor seiner Haustür oder auf einem anderen Breitengrad macht, über jedes Zeichen von Widersetzlichkeit gegenüber der sich ausbreitenden Uniformierung und Nivellierung im Großen wie im Kleinen, sucht, wohin er auch kommt, stets das Abseitige, Abgelegene, mannigfach übersehene und Verachtete, spürt mit sicherem Blick in so manchem viel gepriesenen Panorama das Pandämonium auf und wird dennoch und trotz alledem nicht müde, immer wieder und wieder aufs Neue „Augengespräche“ zu führen: mit Lebenden und mit Toten, mit einem Bergrücken im Nebel, Holzscheiten „auf besonnter Gred“, den Frostaufbrüchen mitten im Mai, dem „schwarzen, staubenden Speckbirnlaub“ zur Erntezeit. (…)

Christian Teissl, podium

 

Dass er nicht losgekommen ist von seinem Mühlviertel, thematisiert Richard Wall schon im ersten Gedicht seines neuen Lyrikbands „Unter Orions Lidern“. Landschaft, Menschen und Kultur der Region waren und sind seine Hauptmotive: die Mostbirnbäume, die Hornissennester, die Bierkiste, der böhmische Wind… Aber Richard Wall ist kein Heimatdichter im begrenzten Sinn des Wortes, im Gegenteil, er schreibt engagierte Poesie, genau in Wahrnehmung und Stil. Wütend, traurig, kritisch verteidigt er eine authentische und oft auch schöne Lebenswelt gegen den dreisten Modernisierungsdruck, der nur auf den Hochglanzprospekten der Konsumenten-Propaganda menschenfreundlich erscheint.

Dr. Christian Schacherreiter, Oberösterreichische Nachrichten

 

Im Elfenbeinturm gefälliger Lyrik hat sich Wall nie beheimatet gefühlt. Er sucht gerne Welt und Menschen auf, seine Sprache ist konkret. Das bekräftigt er auch im Buch in „NACHWORT ODER ANMERKUNGEN ZU (M)EINER POETIK”: „Ich habe keine Wahl. Die Wirklichkeit tritt über die Schwelle, und ich bin gezwungen zu reagieren.” Eine Wirklichkeit, die durch die Medien bis zur Unkenntlichkeit verformt ist. Man erlebt in genanntem Aufsatz einen richtiggehend wütenden Wall: „Dazu kommt, dass die Phrasen und Lügen (...) mit dem ,Bild´ eine hochwirksame Synthese eingegangen sind, die eine verheerende Wirkung in den Köpfen der Menschen erzeugt. Weitaus schlimmer in den Auswirkungen als Tabak oder Rauschgift. Aber auf diesem Gebiet wird von den Mächtigen niemand in die Schranken gewiesen, weil sie entweder an der Pervertierung der Begriffe teilhaben oder zumindest - materiell wie politisch - davon profitieren.”
Freilich, der Wüterich erkennt die Grenzen von Poesie. In „Dichterreliquien für Literaturhäuser (kl. Auswahl)” spottet der Autor über seine Ohnmacht und nennt an erhaltenswürdigen Merkmalen des Dichters u. a.: „Gerichtsvorladungen (Dichter verprügelte Verleger und Journalisten)”, sowie „Eingeschlagene Zähne” oder „Eine verhärtete Leber, dazu das Lieblingsweinglas”.
Realität passiert, leider. Walls Dichtung ist überregional, zugleich hängt er ohne falsche Nostalgie dem Landleben an. Dessen Verlust beklagt er mit bitterer Ironie. Seinen „Nachruf” widmet er „all den Betrogenen”: „Verstummt der Arbeitstakt der Melkmaschinen / und jene, die sie fluchend bedienten. / Kein metallenes Schleifen, Knirschen und / Scheppern mehr der mechanischen Entmistung (...)”

Christian Pichler, Online, Stifter-Haus Linz

 

Richard Wall: Streumond und Nebelfeuer, Gedichte,

 

Löcker, Wien 2019, 152 Seiten, Euro 19,80

 

 

 

Mit  STREUMOND UND NEBELFEUER  betritt ein bedeutender

 

Lyriker, Prosaist und Bildender Künstler Österreichs, nämlich

 

Richard Wall erneut die kleine, aber feine Bühne der Poesie

 

und liefert auch gleich das Umschlagbild des schön gestalteten

 

Gedichtbandes mit.

 

Seine Ars poetica hat sich in jahrzehntelanger Arbeit im Grenzbereich

 

zwischen Bild und Sprache an einem geistesgegenwärtigen Spiegel

 

geschliffen, der, gleichzeitig Rück- und Vorderseite, sozusagen den

 

Sprachraum extrem krümmend eine Einstein-Rosen-Brücke zwischen

 

Hier und Dort, zwischen äußerster Nähe und innerster Ferne erzeugt, Erinnerungen ausleuchtend und gleichzeitig Zukunft antönend, und

 

dies im Bewusstsein, dass diese Zeitenfolge nur ein vorläufiges

 

Konstrukt ist.

 

Die große Spannweite Wall’scher Geistesflüge, das breite Spektrum,

 

worin sich Wahrnehmung, Erinnerung und Reflexion zu Versen

 

vereinbaren und einander die Feder reichen, auch nur in Umrissen

 

deutlich werden zu lassen erscheint dem Rezensenten in diesem be-

 

grenzten Rahmen als ein Unterfangen, das selbst einem glücklichen, j a

 

übermütigen Sisyphos wohl dunkle Wolken auf die Stirn zauberte.

 

Da erscheinen beispielsweise im Zyklus UNI-PER-VERS-UM präzise

 

Befunde der  (Un)Weltlagen z.B. im Gedicht ZUR LAGE (p73)

 

Welt/Eine Spule, aus der sich jede und jeder/Seine irren//irrenden Fäden spinnt./...

 

und erhält im Gedicht RÄTSEL (p92) aus dem Zyklus WIRBELBLICKE

 

der Widerstand gegen eine augenscheinlich ökologisch und in ihrer

 

Humanität missglückende Welt in Form auch des poetischen Wortes seine gültige Punze: … Erfolgreich Widerstand/Zu erkennen in/Erleuchteten Wänden –//

 

Und den Schatten Gaben bringen/Über Gräber hinweg- /Sing wenn du wieder zu dir kommst.//Sing! 

 

Dann wiederum wird das vom Dichter noch Wahrzunehmende, das dem allgemeinen Blick schon unsichtbar geworden ist, im Gedicht BLICKWIRBEL

 

an einigen Beispielen als ein geheimnisvolles Atmen von Leben & Tod vor Augen und Ohren geführt, ein Atmen, das in KLAVIATUR DES LICHTS (p94)

 

aus dem Blickwinkel des Bildenden Künstlers das Verschwinden des Lichts in folgende Synästhesie fasst: …Das Geschaute ihn ihm/Als Dreiklang/verweht.

 

Unmittelbar Erlebtes führt bei Wall zu Gedanken, die ihrerseits wieder

 

in der Reflexion des/der Lesenden zu Erlebnissen werden, ja manchmal

 

auch zu Ersterbnissen, wenn der Poet in hellwacher Achtsamkeit der Natur gegenüber, nun selbst mit ihr ein Wesen, ein Wehen, ihre/seine Vergänglichkeit oder Zerstörung in Gedichten wie DAS ZITTERN DER ÄSTE IN MIR (p55), UFERBEREINIGUNG (p64) oder EPITAPH AUF EINE QUELLE (p65) zur Sprache bringt.

 

 

 

Und so führt Richard Wall unbeirrt sein Logbuch durch all die

 

Wellengänge seiner Tage und Nächte und hinterlässt uns keine Strohfeuer,

 

sondern Leuchttürme, die uns in dieser Zeit der großen Umbrüche

 

helfen, Kurs zu halten. Ahoi!